
Von Alexander Pschera
Die Ermordung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 hat nicht nur das Heilige abgeschafft, sondern das ganze französische Volk einem kollektiven Gedächtnis- und Geschichtsverlust preisgegeben – sagt der Schriftsteller Jean Raspail in einem Interview, das er im August dem Figaro Magazine gab.
Bis heute berühren Raspail die Vereinsamung und die Demütigung, die der französische König vor seiner Hinrichtung ausgesetzt war, zutiefst. Man kann es in und zwischen den Zeilen lesen. Seine Nacherzählung der historischen Ereignisse des 21. Januar 1793 ist kein nüchterner Bericht, sondern in ihr vibrieren Ergriffenheit, Trauer, Wut. Seine Erzählung ist voller Details, die zeigen, dass das Geschehen für ihn nicht vergangen, sondern höchst gegenwärtig ist.
Die Convention hatte offensichtlich Angst, die öffentliche Meinung könne sich noch gegen sie wenden. Daher unterband man jeden Kontakt zwischen Ludwig XVI. und der Außenwelt. Selbst mit seiner engsten Familie durfte er nicht mehr sprechen – bis auf ein letztes Adieu am Vorabend der Hinrichtung. Man erniedrigte ihn, indem man ihn mit seinem Familiennamen „Capet“ ansprach und ihm beim Essen Messer und Gabel verweigerte. Auf dem Weg zum Schafott band man ihm die Hände hinter dem Rücken zusammen, wie einem gewöhnlichen Kriminellen.
Man muß sich vor Augen führen, dass die Lage in Paris tatsächlich instabil war. An den Pariser Mauern klebten Plakate, auf denen zu lesen war: „Peuple, tu dors! et ton roi va mourir! Le meilleur des rois! Ah! Réveille-toi, frappe tes ennemis, sauve ton père!“. Das Todesurteil fiel in der Convention mit nur einer Mehrheits-Stimme (361 gegen 360).
Am Tag vor seiner Hinrichtung verlas der König sein Tetstament in Anwesenheit seines Beichtvaters, dem Abbé Edgeworth de Firmont: „Aus ganzem Herzen vergebe ich denen, die sich als meine Feinde gebärden… ich bitte Gott darum, ihnen zu vergeben“. Dann die letzten Abschiede: die Königin, der Dauphin, Madame Royale und Madame Elisabeth, die Tochter und die Schwester des Königs. Revolutionäre schauten hinter einer verglasten Wand zu. Das Leben der Anderen, schon damals.
Am Tag der Exekution verbieten die Revolutionäre jede Tätigkeit, jedes Geschäft in Paris. Die Nationalgarde geht ab 7 Uhr in Stellung. Der König wird um 5 Uhr geweckt. Um 6 zelebriert Edgeworth die Messe. Als Altar dient eine Kommode, die in die Mitte des engen Zimmers gerückt wird. Ludwig XVI. wird die Kommunion untersagt – die Hostie könnte ja vergiftet sein. Der König hält sich nicht an das Verbot.
Um 8.30 zwängt der König seine 1 Meter 95 in eine kleine Kutsche. Ihm gegenüber sitzen zwei Gendarmen. Ihre Knie berühren die des Königs. Einer der beiden Büttel ist ein abtrünniger Priester. Draußen ist es kalt. Die Scheiben des Wagens beschlagen.
In den Straßen von Paris sind 80.000 Bewaffnete. Viele von ihnen können ihre Tränen nicht zurückhalten, als die Kutsche mit ihrem König an ihnen vorbeifährt. Am Ort der Hinrichtung – heute die Place de la Concorde – kreischt der Pöbel, der zu einem großen Teil von den Revolutionären bezahlt wurde. Auch das kennen wir.
Als der König die Tötungsmaschine sieht, die zwei Meter über dem Boden steht, zittert er nicht. Das bestätigen mehrere Zeugen. Er stößt die Büttel zurück, zieht seinen Rock aus, öffnet seinen Kragen und sein Hemd. Mit Hilfe von Edgeworth steigt er die schlecht zusammen gezimmerten, wackligen Treppen hinauf. Oben gebietet er dem Tambour, innezuhalten. Er wendet sich dem Volk zu und spricht:
„Volk, ich sterbe unschuldig….Ich vergebe meinen Henkern und bitte Gott darum, dass das Blut, das sie vergießen werden, nie wieder über Frankreich hinabkomen wird“.
Die Soldaten weinen.
Der König will weiter sprechen, aber der General Santerre zieht seinen Säbel.
Aus der Menge erklingt ein Ruf: „Schrecklich!“
Der Henker Charles-Henri Sanson – der am Vorabend heimlich zur Beichte ging – steht da wie gelähmt. Sein Sohn zieht den König auf’s Schafott. Edgeworth flüstert: „Fils de Saint Louis, montez au ciel“.
Es ist 10 Uhr 22: Der blutige Kopf wird der Menge präsentiert. Ludwig XVI. wurde 38 Jahre alt.
Wie hat diese Hinrichtung das Schicksal Frankreichs beeinflußt?
Zunächst: Das französische Volk hat den Tod seines Königs nicht gewollt. Es war Paris, nicht das französische Volk. Paris hat die Revolution gemacht, Paris hat getötet, Paris hat die Guillotine in die Provinz geschickt, Paris hat die Massaker in der Vendée durchgeführt. Paris hat die Monarchie zerstört und damit die Provinzen aufgewühlt. Paris hat die Départements eingeführt und historische, gewachsene Linien der Feudalität aufgetrennt, die sichergestellt haben, dass der Schwächste durch den Stärksten beschützt wird. Diese Umkehrungen waren nicht wieder gut zu machen – nicht im Directoire, nicht im Empire, nicht in der Restauration. Frankreich hat einen moralischen Selbstmord vollzogen, dessen Narben heute wieder aufbrechen. Auf den leeren Thron, die „Leerstelle der Demokratie“ (Emmanuel Macron), haben die Franzosen Napoleon, de Gaulle und verschiedene Präsidenten gesetzt.
Und dennoch haben viele Franzosen heute immer noch das Gefühl: Es fehlt jemand….
Und noch etwas anderes sei geschehen: An dem Tag, an dem man den Kopf des Königs abschnitt, schnitt man jedem Familienvater den Kopf ab. Sagte Balzac. Die Substitution der Nation durch die Republik war ein kollektiver Suizid. Denn ein Republikaner ist nicht notwendiger Weise auch ein Franzose. Und mit der heutigen „Revolution de la Civilisation“, die das Kabinett Hollande betreibt, wird dieser Selbstmord abgeschlossen, auf die Spitze getrieben. Die Republik ist ein provisorisches politisches Konstrukt, nicht mehr.
„Seitdem ich mich Monarchist nenne, nennt man mich nicht mehr Faschist“
Aber wie kann man heute noch Royalist sein? – Der Royalismus ist kein Regierungskonzept, er trägt vielmehr die Ästhetik der Moral, den Sinn für das Heilige und den Respekt in sich. Ein gutes Beispiel ist Großbritannien im zweiten Weltkrieg – diese Nation scharte sich um ihr Königshaus, während die französische Republik in sich zusammenbrach. „Ich bin zwar Patriot, aber ich habe heute meine Probleme mit dem Französisch-Sein. Dieses Gefühl – es ist eine Mischung aus Wut und Ekel, aber auch aus Traurigkeit“ (sagt Raspail).
Im ganz persönlichen Sinn ist es auch sehr belohnend, sich „Monarchist“ zu nennen. „Es ist schön und herausragend. Seitdem ich mich Monarchist nenne, nennt man mich nicht mehr Faschist (…). In der Größe und in der Exzentrizität des Royalismus liegt für die Aufgeregten etwas Bestürzendes. Jedem hellsichtigen Menschen, der sich nicht traut, die Wahrheit zu sagen, empfehle ich, sich Monarchist zu nennen. Es dauert nur eine Sekunde, währt aber eine Ewigkeit. Und es ist einfach köstlich“.
Und die heutigen Orléans und Bourbonen? – „Sie werden geköpft von einem Skiliftseil – was für ein Symbol!! Ich habe für sie ein Buch geschrieben (Le Roi au-delà de la mer). Ihr Problem ist, dass sie sich damit begnügen, da zu sein, aber nicht daran glauben, jemals wieder etwas zu erreichen. Und sie werden nichts erreichen, weil sie es nicht wirklich wollen“. Wenn man eine Sache vertritt, dann muß man die Fanfaren blasen, auf sein Pferd springen und den letzten Angriff wagen, ansonsten stirbt man an trauriger Altersschwachheit auf seiner Burg und vergisst, dass sie nicht mehr belagert wird, weil das Leben längst weitergezogen ist…